Ein Gastbeitrag von Elisabeth Koblitz

Es ist 20.49 Uhr, Anfang Dezember und ich frage mich nicht nur, wo der Tag hin ist, sondern das gesamte Jahr.

Oder sollte ich sagen "Jahre"?! Denn hier sitze ich, Elisabeth, nach -schwups- 8 Jahren USA wieder frisch in Deutschland gelandet. In zwei Zimmern schlummern - zumindest gerade - meine drei Kinder - und ich frage mich, gerade in den vergangenen Wochen, wohin bitte all die Tage, Wochen, Monate - quatsch, die letzten knapp sechs Jahre verschwunden sind?

Denn so lange bin ich schon Mutter.

Seit über 2000 Nächten bedeutet für mich 7 Uhr  ausschlafen.Von diesen über 2000 Nächten wurde ich (sehr!) häufig aus dem Schlaf gerissen. Mal hatte ich ein Neugeborenes an der Brust, mal hat ein Kind geträumt, oder ein Kind hat gespuckt, mal hat eines in die Hose gemacht, ein anderes Mal hat eines Schnupfen. Manchmal wollte mir nur irgendjemand um 3.49 Uhr kurz was sagen.

„Aha. Okay. Thanks for sharing, love! Jetzt bitte: weiter schlafen."

Seit 6 Jahren schlafe ich nicht mehr richtig tief. Als Mama bin ich, egal zu welcher Tages-,oder Nachtzeit, im Unterbewusstsein immer „on duty". Egal ob ich arbeite, die Spülmaschine ausräume, TV gucke, Gäste empfange. So bald es knarrt, quiekt, beim leisesten „Mama", steh ich da: kerzengerade. Ob vom Schreibtisch - oder vom Bett. Ob um 9 Uhr abends oder 3 Uhr morgens. Und spätestens um 6 Uhr in der Früh ist bei einem der drei Kinder die Nacht vorbei. Noch mal umdrehen? Noch mal auf „Snooze" drücken? All das tat ich zuletzt im Jahr 2014. „Here we go again", denke ich manchmal, schlage die Bettdecke zur Seite und ja, dann geht's halt los: die Bedürfnisse anderer Wesen erkennen und befriedigen. Das sind zb. eine neue Windel, eine Flasche Milch, ein Buch lesen, drei Pos abwischen, Kinder anziehen, Kinder fertig machen, Frühstück richten, Spülmaschine ausräumen, den Joghurtfleck vom Boden wischen, bevor Kind 2 reintri... mist! Und. So. Weiter.

Es geht immer weiter. Den ganzen Tag. Bis ich abends um  20.49 Uhr wieder hier sitze und alle Drei schlummern - zumindest gerade - und ich das gröbste Chaos des Tages beseitige - immer mit einem Ohr unterbewusst lauschend und parat. Immer on duty. Die ganze Nacht. Bis ein Kind mir erklärt - und mein Wecker mir bestätigt - dass ein neuer Tag angebrochen ist. Zeit zum aufstehen. Ich glaube, es ist fast überflüssig zu erwähnen, dass ich meine Kinder über ALLES liebe und auch mein Leben für nichts - nicht mal für 100 Jahre Ausschlafen - tauschen würde. Doch nach fast sechs Jahren (und es werden noch weitere Jahre folgen...) ohne dieses Ausschlafen, ohne „Netflix all day long", ohne „einfach mal nichts" tun - möchte ich einfach mal anerkennen - und dies in aller Öffentlichkeit und voller Inbrunst:

WAS FÜR EINE UNFASSBAR ANSTRENGENDE AUFGABE UND VERANTWORTUNG DAS IST ! MAMA SEIN! ELTERN SEIN!!

Ja, es ist eine Mammutaufgabe, ein Knochenjob - natürlich mit dem schönsten, unbezahlbaren Reward. Und auch ja, ich träume manchmal davon, einmal aufzuwachen - und das kann meinetwegen auch um 7 Uhr morgens sein (honestly, ich glaube länger könnte ich eh nicht mehr schlafen) - und nicht dieses Gefühl zu haben, mit dem ersten Wimpernschlag für andere Menschen verantwortlich zu sein. Zu funktionieren. Aufzuspringen, umsorgen, versorgen.

Einfach mal umdrehen. Einfach mal im Handy rumdaddeln. Oder nur so daliegen und den Geräuschen der Welt lauschen. Dieses Mamasein - oder dieses „Kinder haben", ist nicht die einzige Aufgabe in meinem Leben - da gibt es andere, wichtige Aufgaben - und weniger wichtige - die dennoch erfüllt werden müssen. Doch diese - diese drei Kinder - sie sind die Aufgabe meines Lebens. Trotzdem, oder genau deshalb, ist sie so unglaublich anstrengend.Du hast keinen Samstag, keinen Sonntag „frei", auch bei 40 Grad Fieber und Schüttelfrost erscheinst Du zum Dienst. Über Jahre. Dabei darfst Du Dir über Jahrzehnte keinen richtigen Fehler erlauben - er wäre unverzeihlich.  

Diese Verantwortung, die man trägt - für andere Lebewesen: sie ist immens.

Und genau das spüre ich, nach sechs Jahren tagein, tagaus, Nacht für Nacht, Woche um Woche, Jahr um Jahr - immer und allzeit bereit zu sein. Immer, selbst im Tiefschlaf, auf Habachtstellung zu sein. Ja, ich wünsche mir manchmal nichts sehnlicher, als in den Tag hineinzudrömeln:  Kaffee im Bett trinken, hier mal was lesen, da mal wieder eindösen. Und gleichzeitig will ich genau das, was ich jetzt habe und lebe, festhalten. Bitte, kann bitte jemand die Zeit anhalten? In sechs Jahren ist meine Große zwölf. Und sechs Jahre später ist sie schon 18. Und dann 24.

Vielleicht werde ich dann Samstag morgens um 6:15 Uhr von den Trippelschritten der kleinen Nachbarskinder, die über mir wohnen, wach. Dann mach ich mir einen Kaffee, kuschel mich ins Bett zurück, drehe mich nach links und rechts, lese hier was und dort was, lausche den Geräuschen der Welt und denke schmunzelnd an meine junge Nachbarin unter mir; daran wie sie sich gerade fühlt, was ihre Sorgen und ihre Sehnsüchte sind. Und mit einem Kloß im Hals erinnere ich mich dann an die Jahre, als ich mir nichts sehnlichster herbeiwünschte, als genau diesen Moment.

„Das waren die besten Jahre", denke ich dann.

Danke für diesen ehrlichen und authentischen Text von dir, liebe Elisabeth.

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